Samstag, 11. Januar 2014

Zuhause.

Hier im Hausflur riecht es nach Gras. Zumindest sagen das meine Freunde, welche sich mit diesem Geruch auszukennen scheinen. Kein Wunder, schließlich wohnen in dieser verfallenen Absteige genügend Druffis. Das habe ich nicht gehört, das weiß ich, das weiß jeder. Dennoch bietet uns dieser Kifferpalast einen sicheren Unterschlupf vor dem randalierenden Unwetter da draußen. Mit dem letzten Donnergroll verhallen die Worte meiner Freunde im Treppenhaus. Und auch in mir wird es ganz still. Sie wollen hinaus, raus in die Welt. Da, wo nichts ist und dennoch alles sei. Da wollen sie hin, dort möchten sie sein. Vielleicht ein Jahr, vielleicht aber auch ein ganzes Leben lang. ,,Uns zieht das Fernweh" sagen sie, fast schon mit schwärmerischem Unterton. ,,Uns hält hier nichts. Uns treibt es eher fort." Hier sei alles zu voll, jede Ecke gleiche einem Mahnmal grauenvoller Erinnerungen. Sie bräuchten neue Farben, frischen Wind in ihren Segeln. Die eine am Meer, der andere in einem mir vollkommen fremden Land. ,,Und dich, treibt dich nichts?" Eigentlich zieht mich nichts wirklich weg, mich hält eher alles hier. Meine Heimat, diese Stadt. Hier bin ich willkommen, hier kenne ich mich aus. Ich weiß, dass hier der Sommer die angenehmste Jahreszeit ist und auch, dass sich nur eine der drei Eingangstüren im Hauptbahnhof automatisch öffnet, wenn man faul sein möchte. Ich kenne die Abfahrtszeiten der Busse und die Preise der Taxen, wenn man den letzten Nachtbus ungewollt verpasst. 20 Euro, mit Trinkgeld. Hier kenne ich die Gesichter und die Bäckerfrau, die mir jeden Morgen freundlich zulächelt. Und das alles weggeben? Niemals! Für mich ist diese Stadt kein unangenehmer Streifzug durch die Lebensgeschichte sondern ein Museum voller Habseligkeiten. Hier hatte ich meinen ersten Kuss, und auch meinen letzten. Hier liegt meine Zukunft, mein Leben, mein Heim. Vielleicht bin ich anders als meine Freunde, die ihr Herz noch suchen müssen. Aber ich habe es hier verloren und will es nicht zurück. Da vertreibt mich kein Grasgeruch, auch kein Gewitter. ,,Hast du denn gar kein Fernweh?", fragen sie. ,,Nein, mir täte höchstens eure Ferne weh!", sage ich.

1 Küsschen:

ROLE. hat gesagt…

Wunderschön geschrieben. Und ich kann dich verstehen. Ich möchte mein Desden auch nicht mehr missen.